André Werner

IMG_0370André Werner lebt, schreibt und atmet in Berlin.

 

Bücher von André Werner:

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André Werner im Interview

André, du bist 32 Jahre alt, hast erst Informatik, dann Philosophie studiert, lebst in Berlin und warst früher Sänger und Songwriter einer Band. Wie kamst du von der Musik zum literarischen Schreiben?

Von meinem inzwischen verstorbenen Großvater bekam ich zur Schuleinführung eine Konzertgitarre geschenkt. Allerdings ignorierte ich dieses Instrument viele Jahre gekonnt. Erst mit 15 setzte ich mich ernsthaft damit auseinander. Und kaum drei gelernte Akkorde später begann ich, eigene Texte zu schreiben. Ich habe damals sämtliche deutschsprachige Musik konsumiert, die zu finden war, und doch wurde ich nicht satt. Also mussten eigene Worte her. Englische Texte kamen für mich nie in Frage. Es wäre immer ein fremdes Instrument gewesen, das ich niemals so beherrschen würde, wie meine eigene Sprache. Als dann irgendwann die Band nach fast einem Jahrzehnt auseinanderbrach, musste dieses entstandene Loch wieder ausgefüllt werden. So begann ich vor rund sieben Jahren mit dem Schreiben, und es war eine tolle Erfahrung. Ich hatte plötzlich viel mehr Platz, um eine Geschichte, eine Idee zu formulieren und war nicht länger an das Korsett aus Strophe und Refrain gefesselt. Das war eine unglaubliche, neue Freiheit … mit der man sich am Anfang allerdings auch etwas verloren fühlen kann.

 

Das klingt, als wäre deine neu gewonnene Freiheit nicht nur Segen sondern auch Fluch gewesen. Möchtest du auf deinen letzten Satz, dass du dich verloren gefühlt hast, vielleicht noch ein bisschen näher eingehen? Und was bedeutet es dir, dich mit Worten auf dem Papier auszudrücken?

Nun, zu viel Freiheit braucht irgendwann Disziplin, und das ist nicht gerade eine Stärke von mir. Von daher war es vielleicht nur mein Fluch. Einfach drauflos schreiben, war eine schlechte Idee, wie ich lernen musste. Ich musste eine Geschichte planen, strukturieren, organisieren, alles, was extrem unsexy ist, wenn man seiner Kreativität freien Lauf lassen möchte. Erst mit einer gewissen Routine in diesen Dingen kann man sich wieder auf das konzentrieren, was man ursprünglich vorhatte: Geschichten erzählen.
Am Anfang war es sehr befremdlich, mit dem Gedanken herumzurennen: Ich möchte schreiben. Aber wenn man sich lange genug damit beschäftigt, verwächst es sich mit der eigenen Persönlichkeit. Es gehört irgendwann untrennbar zu einem. Es ist für mich einer von vielen Wegen, einigermaßen heil durch das Labyrinth des Lebens zu kommen.

 

Viele Autoren wenden sich thematisch dem „Glück“ zu, du greifst in deinen Geschichten genau das Gegenteil auf und konzentrierst dich auf das „Unglück“. Worin liegt für dich die Faszination in der Schattenseite des Lebens?

Ich denke nicht, dass es einen ewigen Glückszustand gibt. Das könnten wir auf Dauer gar nicht ertragen. Es käme unweigerlich zum Genussverschleiß. Glück und Unglück sind ein unfreiwilliges Paar und brauchen sich gegenseitig, um überhaupt zu existieren. Wie sollten wir Glück empfinden über etwas, das uns gelingt, wenn wir gar nicht wüssten, dass es ebenso hätte misslingen können? Glück hat viel mit Dankbarkeit zu tun, auch wenn es dafür meist keinen Adressaten gibt.
Ich glaube, in der Tragik liegt mehr Wahres als in der Euphorie. Letzteres ist einfach nur schön, während uns tragische Momente zwingen, in uns hineinzuhorchen. Mit ihnen wachsen wir. Oder zerbrechen.

 

Die meisten Autoren versuchen irgendwann, einen Verlag für sich zu gewinnen – du dagegen hast dein eBook im Alleingang selbst veröffentlicht. Warum hast du dein Glück nie bei Verlagen gesucht? Und wie kam es, dass du nun doch mit einem zusammenarbeitest?

Ich wollte niemanden um Erlaubnis bitten, damit ich mein Buch veröffentlichen kann. Zudem ist mein Buch kein klassischer Roman, und wir leben in einer Hochzeit dieser literarischen Gattung, und Verlage bestehen fast ausschließlich auf diese Form. Mein Buch besteht jedoch aus drei großen Erzählungen, die von mehreren kleineren Geschichten inhaltlich flankiert werden. Ich fand es sehr spannend, mit diesen Verknüpfungen zu experimentieren.
Nach der Veröffentlichung musste ich leider feststellen, dass es eine Sache ist, zwei Jahre im stillen Kämmerlein sein Werk zu verfassen, eine ganz andere jedoch, anschließend darauf aufmerksam zu machen. Den berühmten Fuß in eine Tür habe ich einfach nicht bekommen. Und ich habe mir wirklich die Finger wund geschrieben. Auf ein einziges offenes Ohr bin gestoßen, als ich schon nicht mehr zu hoffen wagte. Eine junge Schriftstellerin nahm sich meiner an. So bin ich beim Schandtaten Verlag gelandet. Die Gründerin Carina Bartsch sah mein Buch nicht nur als Produkt, da sie selbst Autorin ist. Sie steht somit auch künstlerisch voll hinter meinem Werk. Und als wir vorhin von Glück sprachen: Das ist so ein Moment. Und ich bin sehr dankbar für diese Chance.

 

Uff … rühren wir doch einfach die Interviewerin und setzen sie somit Schachmatt. Toller Plan! (Dein schriftstellerisches Talent ist allein dein Verdienst  – ich habe es lediglich erkannt, das ist alles.) Wo wir schon bei Talent sind … Du hast es geschafft, mich mit deinen Geschichten zu bewegen und mich gleichzeitig an vielen Stellen sehr nachdenklich zu stimmen. Welchen Anspruch hast du an dich selbst beim Schreiben? Und was ist dir bei deinen Figuren besonders wichtig?

Am Anfang einer jeden Geschichte steht eigentlich immer eine Frage. Mir geht es weniger darum, sie letztendlich zu beantworten, das würde ich mir nicht anmaßen, sondern viel mehr sie zu formulieren, sie wie einen Teppich auszubreiten. Dann betrachtet man die verschiedenen Muster, erkennt feine Nuancen und taucht ab, bis man das verwobene und komplizierte Geflecht der einzelnen Fasern erkennt. Es gibt große Themen in unserer Zeit, die nur schwer zu fassen sind. In meiner ersten Geschichte zum Beispiel geht es um die massive Ungerechtigkeit einer illegalen Inhaftierung von Seiten eines Rechtstaates. Das ist ein trockener, hässlicher Fakt, zäh und unpersönlich. Ich wollte verstehen, wie es so einem Menschen geht, wenn er ohne stichhaltigen Grund aus seinem Leben gerissen wird. Man wird in der Geschichte mit den schmerzlichen, sehr persönlichen Briefen des Häftlings konfrontiert, die er seiner Frau schreibt. Und auf dieser Ebene begegnet man der Ungerechtigkeit, diesem einfach gesagten Wort, auf sehr niederschmetternde Weise. Sie wird dadurch greifbar, unerträglich.
Meine Figuren sind zumeist Grübler, die sich in ihren Gedanken verrennen, mit teils dramatischen Auswirkungen. Mir geht es mehr um die Innerweltlichkeit der Charaktere. Wie ein Spion, ein Guckloch in den Kopf und ins Herz, wenn man so will. Am Ende geht es mir wohl um Nachvollziehbarkeit und den Wunsch, mit seinen Urteilen über andere Menschen vorsichtiger zu sein.

 

Die Geschichte, die André anspricht, hat er innerhalb eines Videos eingelesen. Sie trägt den Titel „Abschied“ und wer neugierig geworden ist, kann gerne reinhören. Absolut zu empfehlen.